Zum internen Referentenentwurf eines “Gesetzes zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes” hat der Rechtsanwalt und frühere Bundesvorstand der Humanistischen Union, Dr. Till Müller-Heidelberg, eine juristische Stellungnahme vorgelegt (Hier können Sie die Stellungnahme herunterladen).
Die Stellungnahme haben wir zusammen mit einem persönlichen Anschreiben an die politischen Adressen geschickt, die sich in den kommenden Wochen und Monaten mit dem Gesetzesentwurf auseinandersetzen werden: an den Justizminister Heiko Maas, an die Innenminister der Bundesländer, an die innen- und rechtspolitischen Sprecher/innen der Bundestagsfraktionen und an Innenminister Thomas de Maizère, aus dessen Haus der Gesetzesvorschlag stammt. Allen raten wir eindringlich, aus bürger- und verfassungsrechtlicher Sicht den Gesetzesentwurf zurückzunehmen. Wir zeigen die Punkte auf, an denen der Entwurf deutlich rote Linien überschreitet, die die SPD in ihrem Positionspapier zur Reform des Verfassungsschutzes zumindest anerkennt, so wie die Straffreiheit von V-Personen und verdeckten Ermittler/innen oder die Entgrenzung statt Einhegung des V-Personen-Einsatzes. Davon erhoffen wir uns, dass der Entwurf in dieser Form nicht am Koalitionspartner SPD vorbei kommen wird. (Den Brief an Justizminister Maas können Sie hier lesen).
Auszüge aus der Stellungnahme der Humanistischen Union:
Aufgrund des NSU-Skandals und der Ergebnisse der verschiedenen Untersuchungsausschüsse des Bundestags und der Landtage besteht Einigkeit, dass zumindest ein erheblicher Reformbedarf für die Verfassungsschutzbehörden besteht, wenn man schon nicht die konsequente Auffassung vertritt, die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder seien schädlich und obendrein zur Gefahrenabwehr überflüssig, so dass sie ersatzlos abzuschaffen seien, ohne dass dadurch Sicher-heitslücken entstehen.
Wie im Vorblatt E 3 unter Erfüllungsaufwand der Verwaltung ausgeführt, soll mit der Umsetzung des Gesetzesentwurfs ein Mehrbedarf entstehen von 261 Planstellen und damit verbundenen € 17 Mio. jährlichen Personalkosten. Mit anderen Worten: Bei ca. 2700 Personalstellen des Bundesamtes für Verfassungsschutz soll eine Mehrung um ca. 10 Prozent erforderlich sein durch zusätzliche Koordinierungsaufgaben und einen verbes-serten Informationsaustausch! Der Gesetzesentwurf tut gut daran, dies mit keinem Wort näher zu begründen, da ein derartiger Mehrbedarf nicht plausibel darzulegen ist.
Nach dem vorgesehenen Absatz 2, Ziffer 2 dürfen Vertrauensleute nicht angeworben und eingesetzt werden, „die von den Geld- oder Sachzuwendungen für die Tätigkeit auf Dauer als alleinige Lebensgrundlage abhängen würden.“ Ansatzpunkt für diese Regelung ist offensichtlich der bekannt gewordene Fall von Timo Brand, der vom Verfassungsschutz mit DM 200.000,– alimentiert wurde (oder der V-Mann Weingräber im Fall Schmücker, der zweimal jeweils eine halbe Million DM erhielt – Memorandum der HUMANISTISCHEN UNION, Seite 33). Nur: „Alleinige“ Lebensgrundlage einer V-Person werden die Geldzuwendungen des Verfassungsschutzes nie sein, zumindest wird sie Hartz IV beziehen oder Gelegenheitsverdienste haben. Es muss davon ausgegangen werden, dass dies den Entwurfsverfassern durchaus bewusst ist. Diese scheinbare Begrenzung ist also in Wirklichkeit nicht gewollt. Wenn eine ernsthafte Begrenzung gewollt wird, dann dürfen V-Leute nicht angeworben oder eingesetzt werden, „die von den Geld- oder Sachzuwendungen für die Tätigkeit auf Dauer als wesentliche Lebensgrundlage abhängen würden.“
Nach Abs. 2 letzter Satz schließen „im Bundeszentralregister eingetragene Verurteilungen wegen eines Verbrechens oder einer Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist ….. Anwerbung und Einsatz grundsätzlich aus.“ Dies bedeutet, dass entgegen den öffentlichen Diskussionen über den Ausschluss der Zusammenarbeit mit Kriminellen als V-Leuten dies durch die Neuregelung praktisch nicht ausgeschlossen wird. Denn V-Leute, die verurteilt sind wegen Betruges, Diebstahls, unerlaubten Waffenbesitzes, Betäubungsmittelhandel, Körperverletzung, Nötigung, Sachbeschädigung, Unterschlagung, Untreue und nahezu aller weiteren Delikte aus dem Strafgesetzbuch mit Ausnahme von schwerer Körperverletzung, schwerem Raub sowie Mord, dürften in aller Regel – zumindest wenn es sich um Ersttäter handelt – eine Strafaussetzung zur Bewährung erhalten haben und folglich weiterhin taugliche V-Leute sein. Diese im Gesetz vorgesehene Eingrenzung ist also keine Eingrenzung. Mindestens müsste als Grenze für eine Zusammenarbeit mit einer V-Person eine Bestrafung von maximal einem Jahr vorgesehen werden, wie es der Gesetzentwurf auch in § 9a Abs. 4 im letzten Satz vorsieht für das Absehen von Strafe. Darüber hinaus besagt bekanntlich in der juristischen Fachsprache die Verwendung des Wortes „grundsätzlich“, dass es hiervon Ausnahmen gibt. Selbst bei einer Verurteilung zu Freiheitsstrafe ohne Bewährung ist also nach dem vorgesehenen Gesetzestext im Ausnahmefall (und wer definiert diesen?) dennoch eine Zusammenarbeit als V-Person zulässig. Dies erscheint rechtsstaatlich ausgeschlossen. Das Wort „grundsätzlich“ muß ersatzlos gestrichen werden.
Nach Abs. 3 Satz 3 soll eine Beteiligung der V-Leute an einer strafbaren Vereinigung und Bestrebungen zulässig sein, wenn sie nicht in Individualrechte eingreift und „von den an den Bestrebungen Beteiligten derart erwartet wird, dass sie zur Gewinnung und Sicherung der Informationszugänge unumgänglich ist“ und nicht außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts steht. Auch dies ist nur eine scheinbare Begrenzung, tatsächlich jedoch eine Entgrenzung des V-Leute-Einsatzes. Denn die oben erwähnten strafbaren Handlungen wie Nötigung, Körperverletzung, Erpressung, Drogenhandel, unerlaubter Waffenbesitz usw. usw. wer-den eben von Beteiligten zumindest an gewaltbereiten Bestrebungen und strafbaren Vereinigungen erwartet und sind somit „unumgänglich“ und damit nach dem Wortlaut des Gesetzesentwurfs erlaubt! Und da es nach Auffassung des Bundesamtes für Verfassungsschutz immer um bedeutende aufzuklärende Sachverhalte geht – sonst würde das Bundesamt sich ja nicht darum kümmern – sind in Zukunft nach diesem Gesetzesentwurf alle diese Straftaten für V-Leute zulässig, vielleicht mit Ausnahme von Mord. Was wirklich mit dem Gesetzentwurf beabsichtigt wird, nämlich eine Entgrenzung und nicht eine Begrenzung von Straftaten von V-Leuten, wird deutlich in den letzten beiden Sätzen des vorgesehenen Absatzes 3: Danach soll nämlich im Grundsatz ein Einsatz unverzüglich beendet werden, wenn Vertrauensleute „rechtswidrig einen Straftatbestand von erheblicher Bedeutung verwirklicht haben“. Jedoch: „Über Ausnahmen entscheidet der Behördenleiter oder sein Vertreter“. Also auch bei rechtswidrigen Straftaten von erheblicher Bedeutung soll der Behördenleiter oder sein Vertreter dennoch die Fortführung des Einsatzes als V-Person – und folglich z.B. auch die Bezahlung der Straftat! – beschließen dürfen! Mit dem Verständnis als Rechtsstaat ist diese Regelung zweifellos nicht vereinbar.
Einen ausführlichen Kommentar zum Gesetzesentwurf finden Sie HIER in unserem Blog.
Unterzeichnen Sie unseren Aufruf zur Abschaffung des Inlandsgeheimdienstes!
Zum Weiterlesen:
Lesen Sie den Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums zur Reform des Verfassungsschutzes (6.2.2015)
Lesen Sie die Stellungnahme der Humanistischen Union zur Reform der Verfassungsschutzes