Gestern haben sowohl die Grüne als auch die Linksfraktion des Bundestags Anträge veröffentlicht, in denen sie
„Alternativen zum nachrichtendienstlich arbeitenden Verfassungsschutz“ aufzeigen (Linke) bzw. „eine Zäsur und einen Neustart in der deutschen Sicherheitsarchitektur“ fordern (Grüne). Die Anträge kommen zur rechten Zeit. Denn die Regierung will noch vor der Sommerpause ein Gesetz “zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes” durchpeitschen. Die erste Lesung findet diese Woche im Bundestag statt, der Innenausschuss befasst sich mit dem Entwurf am 6. Mai. Der Gesetzentwurf sieht einen massiven Stellenzuwachs beim Bundesamt für Verfassungsschutz vor, eine gewisse Straffreiheit von V-Leuten und verdeckten Ermittlern und eine Ausweitung der BND-Aufgaben auf “Cyber-Gefahren”, um nur die aus Bürgerrechtssicht problematischsten Punkte zu nennen. Dass die Oppositionsparteien nun ihre Stimmen zum Thema Verfassungsschutz erheben, begrüßen wir sehr.
Linke wollen Geheimdienst auflösen
Nach dem Antrag der Linksfraktion wird das Bundesamt für Verfassungsschutz aufgelöst. An seine Stelle tritt eine „Koordinierungsstelle zur Dokumentation gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“. Daneben wird eine „Bundesstiftung zur Beobachtung und Erforschung gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ errichtet. Beide Stellen haben keine nachrichtendienstlichen Befugnisse. Letztere ist eine wissenschaftlich arbeitende Stelle. Die Doppelstruktur mit Koordinierungsstelle und Stiftung mutet umständlich an, trägt jedoch der rechtlichen Situation Rechnung, dass das Grundgesetz die Einrichtung einer Zentralstelle vorsieht. Diese kann nicht durch eine Stiftung ausgefüllt werden. Außerdem soll der Informationsfluss von und zu (noch) bestehenden Landesämtern für Verfassungsschutz möglich sein. Diese können nur auf Landesebene abgeschafft werden. An der Schnittstelle der Kommunikation zwischen Koordinierungsstelle und Behörden, die (noch) nachrichtendienstliche Mittel einsetzen, liegt ein Problem, das der Vorschlag nicht praktikabel lösen kann. Im Antrag heißt es: „Eine Weiterleitung an Einrichtungen, die zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel befugt sind, darf nur erfolgen, wenn sie sich verpflichten, von der Koordinierungsstelle erhaltene Informationen oder Erkenntnisse nicht mit Erkenntnissen zusammenzuführen, die aus geheimer Informationsbeschaffung stammen.“ Was nützt so eine Verpflichtung? Die Geheimdienstler könnten die neuen Infos einfach als welche ausgeben, die sie selbst auf geheimem Weg gesammelt haben. Ein Geheimdienstmitarbeiter würde außerdem eine Information über eine Person in seinem Kopf sicherlich mit einer ihm aus seiner Arbeit bekannten Person verknüpfen und Schlüsse daraus ziehen.
Im Antrag erfährt man leider nicht, ob das Geheimdienst-Personal in den zwei neu zu schaffenden Stellen eingesetzt wird. Aus unserer Sicht sollte dies ausgeschlossen sein. Auch wie die übrigen Aufgaben des Verfassungsschutzes, wie Sicherheitsüberprüfungen, neu verteilt oder gestrichen werden, müsste noch ausformuliert werden.
Grüne: Geheimdienst schrumpfen, Diskurs anstoßen
Der Antrag der Grünen bleibt im Vergleich vager, weil er keinen konkreten Vorschlag ausformuliert, sondern viele Punkte aufzählt, die aus Sicht der Grünen verändert werden müssen. Dafür geht er auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung ein und verurteilt ihn in einigen zentralen Punkten. Aus unserer Sicht geht der Vorschlag der Grünen nicht weit genug, das Bundesamt für Verfassungsschutz nur zu verkleinern und in “Inlandsaufklärung” umzubenennen. Er würde weiterhin als Geheimdienst zu “gewaltgeneigten Bestrebungen” und zur Spioageabwehr tätig sein. Aus unserer Sicht braucht es eine solche Behörde nicht. Denn sobald es sich um Straftaten handelt, ist schon heute die Polizei zuständig. Das gilt auch für Vorbereitungen für terroristische Handlungen.
Auch beim Thema V-Leute bleiben die Grünen mit ihren Forderungen auf der Hälfte der Wegstrecke stehen. Trotz der schlechten Erfahrungen mit V-Leuten (Skandale und Verstrickungen des Geheimdienstes über seine V-Leute gab es sowohl im RAF- als auch im NSU-Kontext), wollen die Grünen die V-Leute-Praxis nicht abschaffen. Nur in der rechten Szene sollen V-Leute ausgeschlossen werden. Ansonsten soll die Praxis einer wissenschaftlichen Evaluierung unterzogen werden. Immerhin mahnen die Grünen einen intensiven Diskurs der Bundesregierung mit der Zivilgesellschaft an, um zu einem wirklichen Neustart in der deutschen Sicherheitsarchitektur zu gelangen.
Mit der Aktion #TäterVomDienst will die Kampagne ausgeschnüffelt der Humanistischen Union die Straffreiheit für V-Leute und verdeckte Ermittler im geplanten Verfassungsschutz-Gesetz aufhalten. Mehr dazu erfahren Sie demnächst in diesem Blog.
Zum Weiterlesen:
Telepolis: Verfassungsschutz ein bisschen abschaffen