Man mag es kaum glauben: Der Haushaltsausschuss hat sich darauf verständigt, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz im Jahr 2015 21 Millionen Euro mehr bekommen soll, das ist eine Steigerung von 10 Prozent seines Etats. Insgesamt erhält der Geheimdienst 231 Millionen Euro – trotz seiner Verfehlungen beim Aufdecken der NSU-Morde, trotz seines V-Leute-Unwesens und 64 Jahren Skandalgeschichte. Morgen nachmittag berät der Bundestag darüber abschließend. Die Debatte können Sie sich im Parlamentsfernsehen ab 15:20 Uhr ansehen.
Es ist ein wiederkehrendes Muster: nach einem Skandal des Verfassungsschutzes ruft die Politik nach Reformen. Diese werden nach einem großen Auftakt halbherzig umgesetzt – wir warten nach dem Abschluss des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestags noch immer auf eine Reform des Bundesverfassungsschutzgesetzes. Die durchgesetzten Reformen bestehen dann hauptsächlich darin, den gescheiterten Geheimdienst mit neuer Überwachungssoftware aufzurüsten, ihn mit der Polizei zu vernetzen (s. Änderung des Anti-Terror-Datei-Gesetzes) und ihm mehr Geld in den Rachen zu werfen.
BND: Kein Steuergeld für Grundrechtsbruch
Das gleiche erleben wir gerade beim Auslandsgeheimdienst BND. Bis 2020 will er rund 300 Millionen Euro für neue Überwachungstechnologien ausgeben. Dabei erleben wir gerade die Rechtsbrüche des BND live im NSA-Untersuchungsausschuss. Dort will er beispielsweise Grundrechte nur für Menschen auf deutschem Boden gelten lassen – Ausländer und Deutsche im Ausland dürfen unkontrolliert ausgespäht werden (s. Zeit Online). Über einen Teil des Geldes entscheidet das Vertrauensgremium des Bundestags am Donnerstag.
Campact ruft zu einer Aktion vor dem Bundestag auf, die wir von der Humanistischen Union unterstützen. Demonstrieren Sie mit! Am Donnerstag um 8:30 Uhr, hier gibt es weitere Infos zur Aktion. Sie können nicht kommen? Dann rufen Sie bei den Mitgliedern des Vertrauensgremiums an. Digitalcourage erklärt, wie es geht.
Thüringer Verfassungsschutz bald in Rente?
Eine positive Nachricht gibt es heute allerdings doch: Die neue Regierungskoalition in Thüringen will den Landesverfassungsschutz zwar nicht einstampfen, aber doch eindampfen (s. Koalitionsvertrag S. 94 f). V-Leute werden abgeschafft. Nur im „begründeten Einzelfall zum Zweck der Terrorismusbekämpfung“ kann davon „durch Zustimmung des für Inneres zuständigen Kabinettsmitgliedes und des Ministerpräsidenten abgewichen werden“. Auch unsere Forderung nach Kontrollen der gespeicherten Personendaten nach dem Datenschutzskandal in Niedersachsen will die Thüringer Landesregierung umsetzen: „Sämtliche beim TLfV gespeicherten Personendaten werden auf ihre rechtliche Zulässigkeit der Erhebung, Speicherung und bislang nicht erfolgte Löschung überprüft.“
Die Forderung hinter unserer Videoreihe „Unbescholten Überwacht“, dass der Inlandsgeheimdienst seine Gesinnungsschnüffelei beenden sollte, findet sich ebenfalls im Koalitionsvertrag: „künftig sollen Personen nicht mehr allein aufgrund ihrer politischen, religiösen und / oder weltanschaulichen Auffassungen zum Gegenstand grundrechtseinschränkender Maßnahmen gemacht werden“. Der Geheimdienst soll auch Polizei und Gerichten nicht mehr dazwischenfunken: „bei einer sich ergebenden Zuständigkeit der Polizei (Gefahrenabwehr) oder der Staatsanwaltschaft (Strafaufklärung) ist eine eigene Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz in diesem Sachverhalt ausgeschlossen“. An Schulen darf er keine Bildungsarbeit mehr machen.
So vieler alter Aufgaben beraubt, fragt man sich, was für den Thüringer Geheimdienst noch übrig bleibt. Und so kündigt die rot-rot-grüne Landesregierung konsequenter Weise an, die gesamte Institution auf den Prüfstand zu stellen: „Eine künftige Landesregierung wird im Laufe der Legislaturperiode eine Expertenkommission berufen, die sich mit der Notwendigkeit und dem in einem demokratischen Verfassungsstaat möglichen Befugnissen einen nach innen gerichteten Geheimdienstes beschäftigen wird und dem Thüringer Landtag einen entsprechenden Vorschlag zur grundlegenden Neuausrichtung der Aufgaben des Schutzes der in der Verfassung garantierten Grundrechte erarbeiten wird.“ Wir sind gespannt, was das neue Kapitel Thüringischer Geheimdienstgeschichte bringen wird. Ob den Thüringern auf den letzten Verfassungsschutz-Skandal wirklich etwas Neues einfällt? Bei der Antwort der Bundesregierung: „mehr Geld für mehr Überwachung“ wird es jedenfalls nicht bleiben.
Aktion am Donnerstag vor dem Bundestag
Telefonaktion zur Etat-Erhöhung des BND